Mama

Mama

“Nein, deine Wäsche wurde nicht einfach von jemanden weggenommen. Ich habe sie hier. Letzten Freitag nahm ich deine Kleidung mit, um sie zu waschen!” “Ach so! Jetzt habe ich hier aber schon den Leuten gesagt das sie weg ist”, informierte mich meine Mama und ihre Stimme bekam dabei wieder diesen leicht entsetzt klingenden Ton. “Nicht schlimm, Mama!”, versuchte ich sie zu beruhigen, wohl wissend das die meisten Leute im Haus “Bescheid wissen”. Lange wird da eh keiner nach etwas suchen. “Ich komme später und bringe dir deine Wäsche vorbei!”, teilte ich ihr mit und legte auf.

Ein laaaanger Sommer liegt hinter mir. Ein Sommer, der mit dem Tod des Lebensgefährten meiner Mutter begann und den Staffelstab mit ihrem Einzug ins “Betreute Wohnen” an die ersten Herbsttage weiter reichte. Nicht das es vorher leicht gewesen wäre. Die große Veränderung bei meiner Mama, die im Grunde schon viele Monate vorher hätte passieren müssen, kam zum Jahresbeginn in großen Schritten näher. Davor waren höchstens Minischritte möglich, die meine Mutter bereit war mit mir zu gehen. So konnte ich vorher wenigstens rudimentäre Untersuchungen veranlassen und den Medizinischen Dienst mit einem Latte Macchiato und guter Vorbereitung meinerseits willkommen heißen.

Ende Juni musste meine Mama endgültig Abschied von ihrem Partner nehmen. Der zweite Mann, den sie überlebte.

Beerdigung

Danach saß sie auf “ihrer” Bank vor dem alten Bauernhaus ihres Lebensgefährten. Passiv, verdrängend, traurig, aggressiv, hoffungslos….

“Was soll denn nun werden?”, klagte sie und blieb doch auf dieser Bank sitzen, wohlwissend das es nicht “ihre” war. Bis heute stellt sie sich nicht dem Unvermeidlichen. Nein, ich meine nicht den Tod ihres Partners.

Ich meine ihre Erkrankung!

Denn irgendwann, als sie von dieser Bank aufstand, fuhr ich mit ihr zum Hausarzt, der mir den Weg zu ihrer Stabilisation und weiterer Diagnostik im Krankenhaus ebnete.

Sommerdomizil Krankenhaus statt Ferienhaus am Strand!

Ich übte mich (wieder mal) im Jonglieren. Besuche, Gespräche mit dem Sozialen Dienst, Besichtigungen, Pflegedienstgespräche, Leistungsverträge, Diagnosebesprechungen, Umzug planen und durchführen und und und “nebenbei” den eigenen Alltag rund um meine drei H’s (“Haus, Hof & Hund”) , wie ich immer sage, bewältigen.

Besuch mit Lobo am Krankenhaus

Dass was uns allen im Grunde schon durch psychologische Test und Beobachtung klar war, wurde von den weiteren Untersuchungen im Klinikum bestätigt: Demenz von Typ Alzheimer. Diese Form der Demenz greift die gesamte Großhirnrinde an und schädigt sie. Einfach ausgedrückt blockieren sogenannte Plaques (Eiweißablagerungen) die Kommunikation der Nervenzellen. Im Frühstadium der Erkrankung wird der Betroffene zunehmend vergesslicher, orientierungsloser – die Persönlichkeit verändert sich. So ein Frühstadium kann sich 5 – 10 Jahre hinziehen. Und wo steht meine Mutter? Schwer zu sagen, meinen Beobachtungen jedoch zur Folge würde ich sagen das ich meine Mutter häufig im Endstadium des Frühstadiums antreffe.

Es ist Herbst. Mit zügigen Schritten laufe ich durch den Wald. Lobo, mein treuer Seelenhund, an meiner Seite. Wir freuen uns schon. Wir gehen auf die Wiese. Ich habe den Futterbeutel dabei. Auch diese Zeiten sind im Sommer viel zu kurz gekommen.

Auszeit im Wald

Meine Mutter lebt nun im “Betreuten Wohnen” oder auch “Servicewohnen” genannt. Ich fahre mehrfach die Woche hin, um das eine oder andere für sie zu regeln. Es gibt nicht so gute Tage und bessere Tage. Sie möchte dort nicht sein, sagt sie mir, sie möchte eigentlich nirgendwo mehr sein. Sie vermisse meinen Papa. Dann fragt sie nach den Enkelkindern und wie die lieben Frau und der liebe Mann (meine Schwiegerkinder) nochmal heißen.

“Ihre Mutter verkriecht sich!”, teilte mir Frau Brinkmann, die rüstige Seniorin vom oberen Stock im Treppenhaus mit. Darauf hin beschloss ich, sie anfangs zu der einen oder anderen Aktivität, die der Sozial-Kulturelle-Dienst anbietet, zu begleiten.

So versuchten wir als Mama-Tochter-Team am schnellsten alle Triominosteine anzulegen und naschten dabei vorwitzig kleine Waffelherzen von dem Teller, der zwischendurch mal durch die Reihen gereicht wurde.

Triominospiel

Und während Jürgen Drews noch sein Bett im Kornfeld besingt, schwingen wir unseren Körper in der Seniorengymnastik zu seinem Takt.

Nach dem Sport

Doch wenn ich ehrlich bin schwingt im Moment wenig. Weder bei meiner Mama noch bei mir. Ja, ich laufe wieder regelmäßiger mit meinem Hund durch den Wald, und ja ich habe den Stau meiner eigenen To-Do-Liste schon wieder ganz gut aufgeholt und nochmal ja ich achte auch wieder regelmäßiger auf meine “Me-Time”, wie man so schön sagt.

Ich dachte auch, ich hätte es wieder einigermaßen im Griff. Schließlich habe ich meinen Vater schon gepflegt und versorgt, war für meine krebskranke Freundin da gewesen, später für meine demente Schwiegermutter und habe sogar schon in der ambulaten Pflege gearbeitet. Ich habe die Besuchshundeausbildung gemacht, wo psychologische Themen nicht zu kurz kamen, ganz zu schweigen von der Weiterbildung zur “Begleitenden Seelsorgerin”. Beim FUD (Famillienunterstützenden Dienst) habe ich Zertifikate erworben. Also kurz gesagt: Ich habe stets ein Auge auf meine Seele.

Auszeit für die Seele

Doch noch jemand scheint auf selbige zu schielen. Oder vielleicht achtet er auch einfach nur auf sich und guckt das es ihm gut geht. Es fing mit Nackenschmerzen und Übelkeit Anfang der Woche an. Brav ruhte ich mich aus. In der Nacht jedoch wurde ich von schlimmen Brust- und Rückenschmerzen und schweißnassen Körper, Übelkeit und Erbrechen wach. Die Ärztin, die mein Mann anrief, zitierte mich sofort ins Krankenhaus. Ran an den Monitor, Zugang legen… , der Blutdruck war viel zu hoch. Jemand spritzte mir ne Portion Morphium unter die Haut. Es wurde besser. Der Monitor verzeichnete gute Vitalparameter, des Blutbild war o.B. (ohne Befund).

Den Rest der Woche schlich ich durchs Haus und ruhte mich immer noch so gut es ging aus.

Und wie geht es nun weiter? Ich wünschte ich könnte mich besser einschätzen. Diese “Überfälle” kenne ich nun schon mein ganzes Leben lang. Körperliche oder Seelische Aussetzer, die mich immer wieder zwingen gefühlte 10 Gänge runter zu schalten. Ich will mich einfach nicht damit abfinden das meine Belastungsgrenze so weit unten angesiedelt ist, das ich die Erfahrung mache, das meine Kraft immer und immer wieder nur “von 12 bis Mittag reicht”.

Es kann doch nicht sein das am “Ende meiner täglichen Belastungsmöglichkeit” noch “so viel Tag über ist”.

Stunden in denen es an Aufgaben, Erledigungen und da auch Hobbys nicht mangelt. Statt dessen ruft mein Körper “Nein”.

Da habe ich diese vielen oben genannten Zertifikate erworben. Auf meinem Tisch liegt zudem noch ein Lehrbuch, in welchem ich derzeit ausschließlich autodidaktisch lese und lerne. Und mögen diese Dinge augenscheinlich in und auf dem Schreibtisch verstauben, so präsentieren sie sich fein säuberlich in meinem Herzen.

Oder erwarte ich zu viel von mir?

Betreuerin eines dementen Angehörigen zu sein, auch wenn dieser nicht zu Hause lebt, ist dennoch eine Herausforderung die einen zeitlich, körperlich und auch seelisch in Beschlag nimmt. Und wer mich kennt, weiß ja auch das ich auch selbst chronisch krank bin. Bin ich mit all dem überhaupt noch in der Lage einem verbindlichen (Ehren)Amt nachzugehen?

Fragen über Fragen.

Vorsichtig transportiere ich das Tablett. Frisch gebrühter Latte Macchiato, Vollwertapfelkuchen, ein Hauch von Sahne. Meine Freundin erwartet mich schon mit geöffneter Haustüre.

Soulfood

Jeder hat so seinen Alltag und wir freuen uns, wann immer wir uns austauschen können. Über unsere Hochs und Tiefs, über Belastungsgrenzen und Pausen. Oder wie es der Prediger ausdrückt:

Und ich pries die Freude, weil es für den Menschen nichts Besseres unter der Sonne gibt, als zu essen und zu trinken und sich zu freuen. Und dies wird ihn begleiten bei seinem Mühen die Tage seines Lebens hindurch, die Gott ihm unter der Sonne gegeben hat.

(Prediger 8,15 Elberfelder)

Eine Lösung habe ich noch nicht gefunden. Dennoch so ganz Frau tat es gut sich wieder mal das eine oder andere von der Seele zu reden.

In diesem Sinne, herzlichst Eure Sandra

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