Ich habe Mut mein Leben zu leben

Ich habe Mut mein Leben zu leben

Ich wollte mich schon im Dezember melden. Ich wollte euch von meiner Kur, und dem was ich dort erlebte, erzählen. So ernüchternd sie auf der medizinischen Seite war, so erfrischend war sie auf der zwischenmenschlichen und geistlichen Ebene. Ich wollte euch erzählen, das ich das Gefühl hatte, ich schaute in einen besonderen Spiegel. Einen Spiegel, der mich strahlen ließ. Nein, nicht deswegen weil ich vielleicht 2 Kilo durch den Sport, den physiotherapeutischen Übungen und den übersichtlichen Essensportionen abgenommen hatte. Es war ein inneres Strahlen, ein Strahlen welches nicht aus mir heraus kam. Es konnte nicht anders sein, denn in dieser weltlichen Kuratmosphäre, mit den viel zu kräftigen Körpern, die sich zum Büfett schoben, über die Essenportionen, den Kurplan oder was auch immer schimpften, hätte ich aus mir heraus niemals so leuchten können.

„Ihr seit das Licht der Welt…“

– diese Worte Jesu bekamen in diesen Wochen eine ganz neue Bedeutung für mich. Waren sie bis dahin für mich persönlich mit meiner menschlichen kaum zu schaffenden Anstrengung verbunden, so erlebte ich zwischen all den hungrigen Kurkörpern und noch viel hungrigeren Kurseelen, wie Jesus strahlte.

Davon wollte ich euch erzählen. Direkt nach der Kur wollte ich meinen Stift zücken und schreiben. Jetzt wusste ich, wer ich tatsächlich sein kann, die Sandra, die sich Gott für mich vorstellte. Man bedenke: Menschen fragten mich nach Jesus, ließen sich von mir vom Evangelium berichten und besuchten mit mir ein Gospelkonzert.

Und dann, dann waren da auch die tollen Erkenntnisse, die ich selbst in dieser Zeit gewann und nicht nur geschrieben in meinem Tagebuch, sondern vor allen Dingen in meinem Herzen mit nach Hause nahm.

Ich habe keinen Mut mein Leben zu leben !

Diesem Satz rückte ich mit dem Rotstift zu Leibe und am Ende stand da:

Ich habe Mut mein Leben zu leben!

Ich möchte mich nicht mehr ausbremsen lassen von Ängsten, chronischen Erkrankungen und was auch immer. Davon wollte ich unlängst schreiben .

Nur eine knappe Woche später, ausgerechnet in meinem geliebten Dezember den ich jedes Jahr genieße, fand ich mich weinend auf dem Fußboden meines Bades wieder.

Alltag – die Ehefrau, die Mutter, das Frauchen ist wieder daheim….

Nein, ich war noch gar nicht angekommen, es waren nur die Koffer, deren Kleidung ausgepackt, gewaschen und wieder an Ort und Stelle im Hause waren. Ich war es noch lange nicht.

Ich konnte nicht mehr schreiben – alles zog sich zusammen, wenn ich an den Blog dachte. „Du hast versagt“, mahnte die kleine Stimme in mir.

Nein, als Versager konnte ich unmöglich einen ermutigenden Beitrag über diese Kur schreiben. Außerdem, seufzte es in mir, hat Gott mir vermutlich eh nur einen kleinen Blick durch ein Fenster in eine Parallelwelt geschenkt, um einmal kurz auf die Sandra schauen zu dürfen, die ich geworden wäre, wenn in meinem Leben weniger herausfordernde Dinge geschehen wären. Oder wenn ich in all dem stärker gewesen wäre. „Sie sind zu empfindlich“, konstatierte sogar der Therapeut in der Kur. „Ich bevorzuge empfindsam“, korrigierte ich ihn – empfindlich.

Jahreswechsel – ich zückte mein Tagebuch. Bilanz, Schlussstrich. Einmal tief Luft geholt. “Das muss doch klappen, das mit der neuen Sandra”!

Ich habe Mut mein Leben zu leben!

Ich stolperte durch den Januar, freundete mich wieder ein Stück weit mit dem Alltag an. Ich drehte meinen Runden bei Mrs. Sporty, ging Einkaufen, erfreute mich an der Kerze, die den Restauranttisch unserer Eheabende in ein gemütliches Licht tauchte , lachte über die Späße meiner Kinder, wenn wir uns zum Familienessen trafen.

Ich habe Mut mein Leben zu leben!

Mallorca! Ostern? Im Fernsehen stieß ich immer wieder „zufällig“ auf Dokumentationen über Mallorca. Ich war noch nie dort und möchte schon so lange mal dahin. Letztes Jahr sind wir überhaupt nicht verreist.

Ich habe Mut mein Leben zu leben !

Und dazu gehört auch, das mein Mann und ich endlich mal wieder eine Fernreise wagen! Dazu gehört, das ich wieder mehr alleine im Auto herumfahre, ein volles Einkaufszentrum betrete und mutig daran glaube, das ich all das trotz chronischen Erkrankungen schaffe. Ich schrieb, das ich „das Leben leiser feiere“. Dass ich nicht mehr sprichwörtlich auf jeder Hochzeit tanzen kann und will. Dennoch möchte ich das Leben FEIERN. In der Kur stellte ich fest, das ich schon lange nicht(s) mehr feierte. Weder laut noch leise! Und das alles, weil ich meinen Mut verloren hatte.

Und so nahm ich mir im Februar vor all diese Dinge nach und nach umzusetzen.

Am Rande bekam ich mit, das dieser neuartige Corona-Virus, der im Dezember in China ausgebrochen war, jetzt über die Ozeane geschwappt ist.

  • Die Fälle von Infizierten nehmen fortan zu, 50, 100, 700, 1000 ….
  • Menschen sterben, die WHO spricht von einer Pandemie.
  • Am 13.03. verkündete die Regierung das die Schulen und Kindergärten schließen.
  • Am 16.03. fuhr das öffentliche Leben auf ein absolutes Minimum runter.

„Nehmen sie es ernst“ mahnte die Kanzlerin und verlieh am 22.03. dem allgemeinen Aufruf nach sozialer Distanz mittels Ausgangsbeschränkungen noch mehr Nachdruck.

Heute am 1.04. – und das ist leider kein Aprilscherz – beklagen wir weltweit schon über 46.000 Tote. (Quelle John Hopkins University)

Mallorcas Mandelbäume blühen nicht mehr – weder im wörtlichen noch im übertragenen Sinne. Überall Leere. In den calles der Inselstädtchen, wo vor wenigen Wochen noch Touristen flanierten und Einheimische mit ihren Nachbarn zusammen saßen, ist alles Verlassen.

Ich habe Mut mein Leben zu leben!

Zunächst änderte sich augenscheinlich fast nichts bei mir. Ich war ohnehin immer viel zu Hause gewesen. Sich daheim zu beschäftigen ist wirklich nicht mein Problem. Ich vermute, da gehöre ich jetzt zu den Leuten, die auf Ressourcen zurück greifen können.

Doch diese Nagen in meinem Herzen wird schlimmer. Am Anfang war es nur ein leisen Stimmchen und wer den Hintergrund dessen nicht kennt, würde es vielleicht als undankbares Nörgeln wahrnehmen.

Denn egal ob es Mallorcas malerischen Gassen sind, die ich jetzt nicht besuchen kann, oder das gemütliche Restaurant mit meinem Mann, das Sportstudio… oder oder oder, es macht etwas mit mir.

Einen Abend, es war fast leer im Supermarkt, begleitete ich meinen Ehemann. Als ich den Fuß in den Markt setzte, hatte ich das Gefühl von einer dumpfen Parallelwelt ohne Farbe und Freude verschluckt zu werden. Im Eingangsbereich stand Desinfektionsspray, Aufkleber auf den Boden dirigierten uns den Weg, wenige Menschen, die mit Atemschutzmasken leicht geduckt durch die Gänge huschten. Keiner sagte was, keiner lächelte (ja das kann man an den Augen erkennen!).

„Ich hole nur schnell unsere Sachen“, verkündete mein Mann. Verunsichert huschte ich hinter ihm her. Hinten an der Kühltheke, beim Joghurt, passierte es dann. Ich musste kräftig Husten. Was dann folgte, irritierte und verstörte mich bis aufs Mark. Die Kunden, die sich eben noch ungelenk und im gebührenden Abstand am Kühlregal zu schaffen machten, schauten mich entsetzt an. Nach dieser Schrecksekunde kam Leben in ihre Körper. Sie lenkten den Einkaufswagen mit erstaunlich viel Kraft und Schwung ab und verschwanden so schnell wie die Kakerlaken bei Licht im Vakuum des Supermarktes.

Ich kam mir vor wie ein Lebrakraner zu Zeiten Jesu und wünschte mir in diesem Moment mehr denn je, Jesus wäre leibhaftig hinter dem Joghurtregal aufgetaucht und hätte mich berührt.

Mein Mann berührte mich leicht am Arm. „Komm Sandra, wir haben alles!“

In dieser Nacht konnte ich kaum schlafen.

Ich habe Mut mein Leben zu leben!

Bis vor wenigen Wochen bestand mein „Mut“ darin, endlich mal wieder alleine öfter unter Menschen zu gehen, etwa in der Einkaufsmeile, einen Urlaub in ein anderes Land zu planen, etwas zu wagen und dabei zu akzeptieren das es vielleicht nicht so läuft wie erhofft – vielleicht weil ich wieder mal gesundheitlich ausgebremst werde. Im Grunde alltägliche Dinge, die für die meisten Menschen eh normal sind, sie zu tun.

Jetzt bedeutet Mut, die Ausgangsrichtlinien zu beachten, sich irgendwann nochmal in einen Laden zu trauen (vielleicht mit Mundschutz) – kurz: die noch alltäglicheren Dinge mutig anzugehen.

In all dem gibt es auch etwas Positives zu berichten. Dieses “Fenster” in der Kur, also diese Sandra, die ich da strahlen sah, die leuchtet trotz allem auch jetzt. Wir sind alle zu Hause, sind auf uns zurück geworfen, soziale Kontakte sind fast nur via Telefon, sozialen Medien und ganz „old school“ mit der Post möglich. Meine Gabe des Kartensegens, welche ich vor fast 3 Jahren ganz „altmodisch“ anfing, und die ich selbst so oft klein rede, weil andere ja in der Öffentlichkeit soooo viel wichtigeres tun, ist in dieser Zeit wertvoller denn je geworden. Und das tut mir gut. ( Anmerkung: über den Kartensegen schrieb ich vor einiger Zeit auch mal https://meinsommerzimmer.de/old-school-im-briefkasten )

Wie sagte Jesus doch:

Wer in den kleinen Dingen treu ist, ist auch in großen treu; und wer in den kleinen Dingen unzuverlässig ist, ist es auch in den großen.

Lukas 16,10 NBH

In keinen Dingen treu sein! Treu eine Karte an deinen Nächsten senden, treu eine Telefonnummer wählen oder eine liebe Nachricht schreiben…. wie groß diese kleinen Dinge gerade jetzt geworden sind, erlebe ich derzeit jeden einzelnen Tag.

Ich habe Mut mein Leben zu leben.

„Was passiert mit uns?“ frage ich mich dieser Tage oft.

Und was bedeutet es für mich persönlich wenn ich jetzt sage:

„Ich habe Mut mein Leben zu leben“.

Was bedeutet es für dich in diesen Tagen?

Herzlichst, Sandra

6 Gedanken zu „Ich habe Mut mein Leben zu leben

  1. Einfach nur wow. Dein Post gehört in die Joyce., liebe Sandra. Ich wünsche dir Kraft, Geduld mit dir, mit dem Mut und dem Leben. Der Gesundheitsminister des Bundes hier in der Schweiz hat kürzlich etwas wichtiges gesagt :”Wir leben das Leben langsamer, aber wir leben es”. Daran muss ich derzeit oft denken.
    Alles Liebe dir!
    Herzlichst, Maike

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