Brokkoli und Pferdinand

Brokkoli und Pferdinand

(Ich erwähne dieses Buch aus freien Stücken (ohne Produktsponsoring oder dergl.) in meinen Post.) 

Auf was hatte ich mich da eingelassen? Und wozu überhaupt? Schließlich schreibe ich schon einige Jahre auf meinen Blog und hatte in letzter Zeit sogar die Freude, die eine oder andere „Weisheit“ aus dem Fundus meiner mühsam erworbenen Lebenserfahrungen in Zeitschriften zu veröffentlichen.

Dennoch schlug ich im Gebrauchtbücherhandel meines Vertrauens zu. Geplant war ursprünglich ein Buch zu bestellen, die Postbotin balancierte einige Tage später jedoch fünf Schmöcker bis zur Haustüre.

Wozu sollte ich gerade jetzt Fachbücher über das Schreiben lesen?

Solche Bücher können doch nur staubtrocken daher kommen. “Da werde ich doch vor Langeweile wegkippen”, unkte ich und griff zögerlich zu einem der absoluten Bestseller des Schreibens. Dieser Ratgeber ist “so best“ das ich ihn nur noch mit größter Mühe und sehr lockerem Portemonnaie erstehen konnte. Er wurde mir jedoch wärmstens empfohlen und das nicht nur einmal.

Bird by bird , eine Anleitung zum Schreiben und Leben als Schriftsteller heißt der Ratgeber. Ich kuschelte mich in meine bevorzugte Leseecke und schon in der Einleitung hätte ich mich vor Lachen wegschmeißen können. Auf nahezu jeder Seite vermittelt die Autorin Anne Lamott Wissenswertes übers Schreiben. Das formuliert sie lebensnah und nicht so unverständlich wie etwa die Gebrauchsanweisung meines Radioweckers , welche von chinesisch in ein holpriges Deutsch übersetzt wurde. Auch nicht mit Strichmännchen und merkwürdigen Hieroglyphen versehend, wie die Gebrauchsanweisungen eines schwedischen Möbelhauses. Wie schafft sie es, solch schlagfertige und treffende Formulierungen zu finden, fragte ich mich. Ihr Ratgeber klingt mehr nach einem Roman als nach einem Fachbuch.

Ein paar Seiten und Anekdoten weiter, kroch die Sorge meinen Nacken hoch. Wie kann ich so gute Formulierungen finden wie sie, grübelte ich. Etwas angespannt schlug ich die nächste Seite um und las wie furchtbar auch ihre Erstentwürfe sind. Erstentwürfe seien wohl immer und bei jedem entsetzlich. Da schreiben die Autoren von „Pupsgesichtern“ und sonstigen irrwitzige Formulierungen, erzählt Anne ungeniert. Sehr entlastend.

Das wollte ich doch gleich mal ausprobieren und setzte mich euphorisch an meine Tastatur. Mist! Bis auf das blöde Pupsgesicht blieb mein Gehirn leer.

Und plötzlich kamen sie. Ist ja nicht, so als hätte Anne nicht vor ihnen gewarnt. Sie schlichen sich aus dem Hinterhalt an.

Wie konnte ich einen Moment denken, ich würde vor ihnen verschont bleiben?

Einer nach dem anderen betrat meiner Schreibstube und setzte sich plump neben mich. Da saßen sie nun und starrten mich vorwurfsvoll an: Die inneren Kritiker. Ich tu so, als ob ich nicht da wäre. So ein Käse, das Klappern meiner Finger auf der Tastatur verriet mich und ich war leider offen für ihre Kritik, ihre “Rolling Eyes” und abschätzenden Worte.

„Du schreibst doch jetzt schon seid vielen Jahren deinen Blog und bekommst so oft ein ermutigendes Feedback“, schwenkte mein Mann das Cheerleaderfähnchen. „Ja, ja!“, winkte ich ab. „Das meine ich nicht. Ich mühe mich viel zu oft ab, damit das herauskommt, was herauskommen soll. Ich wünsche mir mehr Leichtigkeit beim Schreiben! Ich will wieder meinen Brokkoli hören!“, schnaubte ich und fast hätte ich dabei bockig mit dem Fuß aufgestampft. Mein Mann schaute mich an, als würde ich zwei Lesebrillen auf einmal tragen.

Ich liebe skurrile Metaphern. Was Anne Lamott mit Brokkoli meint, ist unsere Intuition, die viele Menschen leider schon in ihrer Kindheit aus den Augen verlieren. Unser Organismus hat die grundsätzliche Fähigkeit sich selbst zu erhalten und sich weiter zu entwickeln. Psychologen sprechen in dem Fall von unserer Aktualisierungstendenz. Nach und nach treten bedeutsame Bezugspersonen in unser Leben und fortan bekommen die Meinungen derer eine größere Gewichtung als unsere Intuition. Sie bestimmen unsere Selbstaktualisierung (Selbstkonzept) und drängen unsere Intuition in die hinterste Ecke.

Salopp gesagt wissen wir nicht mehr wie unser Brokkoli schmeckt.

Ich brauche meinen Brokkoli am Computer. Oder in meinem Fall „meinen Ferdinand“. Anne Lamott empfiehlt, unserer Intuition einen Spitznamen zu geben. Irgendeinen Begriff der so komisch ist, das wir uns immer daran erinnern, das unsere Intuition eine wertvolle Augenblicksidee ist, die frisch, frei und wild daher kommen darf.

Beim Überlegen nach einem passenden Spitznamen verschlägt es mich gedanklich in meine Kindheit, der Zeit als meine Intuition besonders in Krankenhäusern und auf Schulhöfen unter Beschuss stand. Wenn ich nicht mehr weiter wusste, kam Pferdinand (wichtig: mit Pf) angaloppiert. Pferdinand war nämlich ein Pferd, ein großes starkes Pferd, auf dessen Rücken ich mich retten konnte und der mir intuitiv beistand. Pferdinand wartete an der Bushaltestelle, wenn aus der Schule kam und stand im Krankenhaus die ganze Nacht vor meinem Fenster. Pferdinand ließ sich nie beirren, seine Aktualisierungstendenz war intakt. Mit ihm konnte meine eingeschüchterte Intuition wieder aufleben.

Als ich älter wurde entschied ich, das es Zeit war Pferdinand gehen zu lassen. „So was tut man nicht! Du bist zu alt für ein eingebildetes Pferd“ drängten mich die Erwachsenen, die in meinem Selbstkonzept Wohnung bezogen.

Es sind die Momente, in denen ich einfach „bin“ und im Augenblick lebe, in denen „mein Pferdinand“ wieder um die Ecke schaut.

Ich finde ihn, wenn ich mit meinem Hund durch den Wald laufe, wenn ich auf dem Sofa meinen Latte Macchiato genieße, wenn ich mich in ein Buch vergrabe, wenn ich im Moment verharre und intuitiv lausche. Dann höre ich, wie sich sein Hufgeklapper nähert, um mich in seine wilde, freie, intuitive Welt zu entführen.

Ich freue mich, das Pferdinand jetzt immer öfter mit mir am Computer sitzt. Mit vorwurfsvollen Blick verscheucht er meine inneren Kritiker. Ich grinse, denn ohne diese Miesmacher (Pupsgesichter) macht das Schreiben viel mehr Spaß. Manchmal fühlt es sich an, als ob Worte und Buchstaben einfach so aus meinem Kopf hüpfen. Völlig ungebremst nutzen sie den Augenblick und strömen intuitiv aufs digitale Papier.

Es braucht Intuition, Instinkt, eine Augenblicksidee – nicht nur fürs Schreiben sondern für unser ganzes Leben.

Schreiben ist ein wichtiger Bereich meines Lebens. Welcher ist es bei dir? Wie heißt dein Pferdinand? Weisst du noch wie Brokkolie schmeckt?

Herzlichst, Sandra

3 Gedanken zu „Brokkoli und Pferdinand

  1. Liebe Sandra, du hast wirklich einen sehr schönen und ansprechenden Block mit sehr tiefgründigen Texten. Ich Schreibe auch sehr gerne. Dabei kann man einfach seine Gedanken ordnen, die sonst unser Gehirn überfluten. Ich habe zwar keinen Pferdinand, dafür einen realen Wauwau, der mich jeden Tag begleitet, auch wenn er schon im Himmel ist. Bin schon auf deine nächsten Blogs gespannt. Liebe Grüße, Susi

  2. Ein sehr schöner Text und dazu noch ein interessanter Buchtipp! Ich habe eine Art Pferdinand in Menschengestalt, der von Zeit zu Zeit mal auftaucht, um mich entweder etwas kritisch, oder aber auch ermutigend anschaut. Ich denke, dass man sich diese kleinen Phantasien im Leben ruhig beibehalten darf. 😉

    Liebe Grüße,
    Carmen xx

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